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Der Untergang der Arbeitersportbewegung: Ständestaat und Nationalsozialismus

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1933 endete die Demokratie in Österreich: Die christlichsoziale Regierung Dollfuß schaltete das Parlament aus und begann mit dem Aufbau eines autoritären Staates. Im Februar 1934 brach in Österreich ein kurzer aber blutiger Bürgerkrieg zwischen der Regierung und den aus dem Parlament verdrängten Sozialdemokraten aus. Der Bürgerkrieg endete nach fünf Tagen mit einer Entwaffnung der sozialdemokratischen Arbeiter und der Hinrichtung einiger Anführer des Aufstandes. Für Österreich begann eine Zeit der Diktatur, die Arbeitersportbewegung wurde zerschlagen.

Das Jahr 1933 brachte eine Zuspitzung der Gegensätze, die sich in den 20er Jahren zwischen sozialdemokratischen Arbeitern und dem bürgerlichen Lager aufgebaut hatte. Im März 1933 wurde das Parlament ausgeschaltet. Der christlichsoziale Bundeskanzler Dollfuß begann, ohne das Parlament zu regieren. Die sozialdemokratischen Organisationen blieben davon zunächst unberührt; noch im Herbst 1933 wurde im Wiener Stadion eine große Sportveranstaltung abgehalten, bei der der Wiener Bürgermeister Seitz öffentlich eine Rede für Freiheit und Demokratie halten konnte.[1] Am 12. Februar 1934 löst eine Hausdurchsuchung in einem Linzer Arbeiterheim einen Aufstand der sozialdemokratischen Arbeiter, des „Schutzbundes“ aus. Viele Arbeitersportler waren an diesem Aufstand beteiligt, da sie sowohl ihren Vereinen als auch dem „Schutzbund“ angehörten.

Nach den Ereignissen des Februar 1934 wurden die Arbeitersportvereine wie alle anderen sozialdemokratischen Organisationen verboten. Die konservativen Parteien (Christlichsoziale und Heimatblock) bildeten eine gemeinsame Organisation, die „Vaterländische Front“, in der alle politischen Organisationen zusammengefasst werden sollten.

Auch die Sportverbände wurden gleichgeschaltet, in die „Österreichische Turn- und Sportfront“ eingegliedert und der Leitung des oberösterreichischen Heimwehrführers Ernst Rüdiger Starhemberg als „Obersten Sportführer“ unterstellt. Die „Sportfront“ bezog ihr Quartier im vierten Wiener Gemeindebezirk im heutigen „Haus des Sports“.

Arbeitersportfunktionäre bildeten eine illegale Organisation, die „Zentrale Kommission für den Wiederaufbau des Arbeitersports“. Die Organisation stand der Kommunistischen Partei nahe und gab Flugschriften heraus, in denen die Arbeiter aufgerufen wurden, neue Vereine zu bilden und innerhalb der bürgerlichen Verbände Widerstand gegen die Diktatur zu leisten. Unter der Überschrift: „Sollen Arbeitersportler in bürgerliche Verbände eintreten?“ vertraten nicht näher genannte Arbeiterturner aus der Wiener Brigittenau einen ambivalenten Standpunkt: „Wiederholt konnte in letzter Zeit beobachtet werden, dass ehem. Arbeitersportler, die bürgerlichen Vereinen beigetreten sind oder solche gegründet haben, sehr gute sportliche Erfolge aufzuweisen hatten. So in der Schwerathletik, in der Leichtathletik – wo der Eintritt der Arbeitersportler Umgruppierungen hervorgerufen hat -  im Eishockey, Handball und vielen anderen Sparten. Das beweist, daß die sportliche Erziehung in den Arbeitervereinen im Gegensatz zu den bürgerlichen Behauptungen wirklich gut war. Es erhebt sich nun die Frage, ob Arbeitersportler in bürgerlichen Vereinen überhaupt was zu suchen haben. Hier gehen die Meinungen allerdings auseinander. Wir glauben, dies bedingt gutheißen zu können. Sind doch auch die bürgerlichen Sportler größtenteils Arbeiter. Und hier dürften gerade die Arbeitersportler dazu berufen sein, im gemeinsamen Sportbetrieb ihre nunmehrigen Sportkollegen für den Kampf der Arbeiterschaft zu gewinnen. Wenn wir diese Aufgabe beiseitelassen, dann bedeuten geschossene Tore, gelaufene Metersekunden und gestemmte Kilogramm lediglich eine Stärkung der faschistischen Sportfront.[2]

Einige ehemalige Arbeitersportler gründeten neue, offiziell unpolitische  Vereine. Neue Vereine wurden zum Beispiel als „Eisenbahner-Sportverein“ (wie 1936 in St. Pölten) oder als so genannte „GÖC-Sportgruppen“ gebildet. In Wien trafen sich die ehemaligen führenden Funktionäre des Wiener Arbeiterturnvereins weiterhin im Vereinslokal des Kleingartenvereins „Settlement“ in Hernals.[3]  

Vereinzelt wurde versucht, Sport als Widerstandsmittel zu nutzen. Anfang 1935 luden die illegalen  Arbeiterturner in Wien zu einem Skisprungbewerb auf die Sprungschanze am Cobenzl, für das mit heimlich hergestellten Plakaten geworben wurde. Die Veranstaltung wurde im letzten Moment abgesagt.[4] Die illegalen Arbeitersportler glauben an die Wiederkehr der Demokratie und schreiben auch ein „Volkssportprogramm“ für die Zeit „danach“.

Die „Vaterländische Front“ bemühte sich um die Eingliederung der Vereine in die „Sportfront“. Der „Sportführer“ Starhemberg war als Führer der paramilitärischen „Heimwehren“ vielen Arbeitern besonders verhasst. Für eine Eingliederung herrschte zunächst wenig Begeisterung. Das Vermögen der Arbeitersportvereine war beschlagnahmt worden, manche Vereine hofften durch einen Eintritt das beschlagnahmte Gut zurück zu erhalten. Der Steirer Gottfried Hauser aus Kapfenberg erinnerte sich Mitte der 1980er Jahre an diese Zeit: „Auch ich war dabei, als es aufgelöst wurde im Februar 1934 nach dem Aufstand. Nachher haben sie uns die Hütten weggenommen und alles beschlagnahmt, die Decken, die Pokale, einfach alles. Einen Teil haben wir später wieder zurückbekommen, aber wie die Hitler gekommen sind, da ist die Hütte dann eine Art Jugendherberge geworden“.[5] Manches konnte auch gerettet werden. So brachten Funktionäre des ATSV Graz Kalsdorf unter Mithilfe von Angehörigen des Nationalen Turnvereins einige Turngeräte vor der Beschlagnahmung in Sicherheit: „Die Geräte wurden beschlagnahmt, auch die Kasse, und dennoch haben wir der beschlagnahmenden Behörde ein Schnippchen geschlagen. Die Hauptgeräte, also jene, die von dem Opfer der Arbeiterschaft gekauft wirden, haben wir der Behörde verschwiegen. Die Handgeräte, wie Bälle, Disken, Kugeln und vieles andere wurden verschleppt.“[6] Es ist davon auszugehen, dass viele Vereine so handelten. Aus Akten wissen wir, dass vom Arbeiterturnverein Eberschwang in Oberösterreich 34 Schilling beschlagnahmt wurden, von den Naturfreunden Ried vier Schilling und 74 Groschen und beim Arbeiter-Schützenverein Ried drei Schilling.[7]

Der ideelle Schaden, der in der Gesellschaft angerichtet wurde, war ungleich größer. Der ehemalige Eggenberger Schutzbund-Kommandant Franz Walch, der selbst in einem Sportverein aktiv gewesen war, beschreibt die Stimmung mit folgenden Worten: „Am 13. Februar sind dann alle Einrichtungen der Turner, der Sportler, der Kinderfreunde, der Jugendlichen der Naturfreunde beschlagnahmt worden. Wenn man sich vorstellt, was die Kinderfreunde, die Turner durch diese ganze Zeit von 1918 bis 1934 sich aufgebaut haben, was sie da alles an Arbeit und Idealismus hineingesteckt haben und dann ist ihnen das über Nacht weggenommen worden, dass hat doch 10.000e von Leuten so vor den Kopf gestossen, dass sie gesagt haben, mit den Schwarzen wollen wir nichts zu tun haben“.[8]

Viele Arbeitersportler lehnten die bürgerlichen Organisationen nach den Erfahrungen des Februar 1934 noch stärker ab als zuvor. Nicht wenige wandten sich in den Jahren des Ständestaats deshalb der ebenfalls illegalen NSDAP zu. Franz Walch erlebte das in Graz-Eggenberg besonders drastisch: „Ich bin am 13. März 1938 von der SA verhaftet worden und bin im Eggenberger Gemeindekotter eingesperrt worden. Es war unvorstellbar für mich, da hat mich so eine Abteilung zur Gemeinde getrieben und im Hof vom Gemeindeamt hat die SA exerziert, und wie ich beim Tor hineingeführt wurde, hat der ganze Haufen gerufen – Franz, was ist mit dir? - Die waren schon bei der SA! Die Sportler, das war symptomatisch.“[9] Seine Erklärung: „Wir hatten einen großen Kampf gehabt und verloren. Das war die Stimmung, die dazu geführt hat, daß die Nazis überhaupt eine Chance hatten. Denn die haben jetzt gesagt, die ein Jahr geschunden worden sind von den Heimwehren, alles andere, nur die nicht. Und so sind viele zu den Nazis gegangen und dort sind sie ja mit offenen Armen aufgenommen worden“.[10] In Kapfenberg geriet auch der ehemals „unpolitische“ Sportverein SCK in den unmittelbaren Einflussbereich der illegalen Nazis. Am Sportplatz wurden nun Demonstrationen und Aufmärsche der NSDAP vorbereitet.[11]

Für das autoritäre Regime wurden vor allem die Nationalsozialsten zu einer ernsthaften Bedrohung. Im Sommer 1934 wurde der Kanzler Dollfuß bei einem Putschversuch von Nationalsozialisten ermordet. In den Reihen der „Front“ erkannte man, dass ein Widerstand gegen die Nazis nur mit den Arbeitern möglich sein würde. Der Druck auf die Vaterländische Front, die Arbeiter nach den Ereignissen des Februar wieder „an Bord“ zu holen, nahm zu.

Die „Turn- und Sportfront“ unternahm mehrere Versuche, die Arbeitersportler einzubinden. Eine Versammlung im Wiener Stadtschulrat, zu der die Sportfront ehemalige Arbeitersportler geladen hatte, endete im Eklat. Der langjährige ASKÖ-Funktionär Leopold Stipkovich erinnerte sich nach dem zweiten Weltkrieg: „Der Saal war bummvoll. Von Anfang an herrschte gereizte Stimmung. Kaum einer von uns hatte Lust, mit unseren Gegnern  gemeinsame Sache zu machen. Ein Wort gab das andere, schließlich sprang einer von der Gegenseite auf und rief erbost: „Meine Herren, Sie vergessen den 12. Februar!“ Die Sitzung endete in einem allgemeinen Tumult und die Arbeitersportler verließen den Saal unter „Wir vergessen nie!“-Rufen.[12]

Mitte 1935 wurde unter der Führung des christlich-sozialen Gewerkschaftsbundpräsidenten Johann Staud ein „Allgemeiner Turnverein“ gegründet, der den Arbeitersportlern ein neues Betätigungsfeld bieten sollte. Einige Ortsgruppen entstanden, etwa in Böheimkirchen und Brunn am Gebirge in Niederösterreich. Auch in Vorarlberg wurde die Neugründung einiger 1934 verbotener Eisschützenvereine, die von ehemaligen Sozialdemokraten proponiert wurden, gestattet.[13]

1937 wurde der „Allgemeine Turnverein“ reorganisiert und in Wien ein breiter Turnbetrieb aufgebaut. Der durchschlagende Erfolg blieb aber auch diesen Organisationsversuchen verwehrt. Staud setzte sich auch auf politischer Ebene für den Ausgleich mit den Sozialdemokraten ein, konnte sich nicht durchsetzen. Der Kampf gegen die Nationalsozialisten wurde ihm zum Schicksal. Er wurde 1939 von den Nazis im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet.[14]

Krieg und Diktatur: Der Untergang Österreichs

Der März 1938 brachte einen erneuten Umbruch für den Sport in Österreich. Mit dem Anschluss wird die „Sportfront“ des Ständestaats aufgelöst und durch den NS-Reichsbund für Leibesübungen ersetzt.

Viele Arbeitersportler, die sich während der Zeit des „Ständestaates“ bürgerlichen Vereinen oder später der NSDAP zugewendet hatten, waren rasch ernüchtert. Der Grazer Franz Walch fasste diese Enttäuschung vieler Arbeitersportler viele Jahre nach dem zweiten Weltkrieg in Worte: „Als die gesehen haben, die Schwarzen werden jetzt von den Braunen abgelöst, und die sind um kein Jota besser, eher noch brutaler und sonst kein Unterschied: Das hat unserer Bewegung sehr starke Macht im Untergrund gebracht, in der Widerstandsbewegung.“[15] Viele ehemalige Funktionäre des Arbeitersports, der Naturfreunde und der Arbeiter-Radfahrer engagierten sich im Widerstand gegen das NS-Regime. Mitglieder der Naturfreunde halfen Verfolgten aus Deutschland bei der Flucht über die Berge, ab 1938 auch verfolgten ÖsterreicherInnen bei der Flucht in die Schweiz. Auf der „Hohe Wand Hütte“ nahe Wien entstand eine Widerstandsgruppe, die Flugschriften verfasste und verteilte. Aus den damals gehaltenen und ausgebauten Verbindungen entstand 1945 der neue Arbeitersportverband.

[1]     Gastgeb

[2]     Arbeiter-Sport. 4/1935, 4

[3]     Nittnaus/Zink, 75

[4]     „Eine Aktion der Arbeiterturner“. In: Arbeiter-Sport. 4/1935, 4

[5]     Wagner, Andrea: Die Arbeitersportbewegung in der 1. Republik. Zeitzeugen berichten. Diplomarbeit, Graz 1985, 52

[6]     Festschrift des Arbeiter- Turn und Sportvereines Kalsdorf bei Graz. 50-Jahr Jubiläum (1919-1969). o.S.

[7]     Nittnaus / Zink, 74

[8]     Wagner, Andrea: Die Arbeitersportbewegung in der 1. Republik. Zeitzeugen berichten. Diplomarbeit, Graz 1985, 51

[9]     Wagner, Andrea: Die Arbeitersportbewegung in der 1. Republik. Zeitzeugen berichten. Diplomarbeit, Graz 1985, 54

[10]    Wagner, Andrea: Die Arbeitersportbewegung in der 1. Republik. Zeitzeugen berichten. Diplomarbeit, Graz 1985, 54

[11]    Wagner, Arbeitersportbewegung, Anhang „Die Geschichte der Alten Amateure Kapfenbergs“ 1920-1934.

[12]    Nittnaus/Zink, 75

[13]    Laurin, 104

[14]    Nittnaus/Zink, 75

[15]      Wagner, Andrea: Die Arbeitersportbewegung in der 1. Republik. Zeitzeugen berichten. Diplomarbeit, Graz 1985, 55


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