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Das frühe Vereinsleben

Für die ersten Arbeiterturnvereine ging es zunächst darum, ihren Mitgliedern grundlegende Kenntnisse zu vermitteln. Vielfach fehlte es an ausgebildeten Vorturnern und Turnlehrern. Wettkampfsport im heutigen Sinne wurde in diesen Jahren kaum gepflegt. Das Turnen diente nicht nur der körperlichen Ertüchtigung, sondern auch den Zwecken der sozialdemokratischen Bewegung, die in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer echten Massenbewegung geworden war.

Arbeiter-Turner und Arbeiter-Radfahrer begleiteten und umrahmten nicht selten die Kundgebungen der Partei. Beliebte Programmpunkte waren bei solchen Veranstaltungen das Reck- und Barrenturnen und – meist zum Abschluss – die auch oft im Bild festgehaltene „Pyramide“.

Wie die Turner mussten sich auch die Radfahrer zunächst darum bemühen, ihren Mitgliedern die „Kunst des Radfahrens“ überhaupt erst beizubringen. In Linz gab es dafür einen eigenen Übungsplatz, den die Arbeiterradfahrer nutzen konnten.

Das Programm war an den wenigen Übungsabenden immer dicht gedrängt, und zwar im wörtlichen Sinne. Arbeiter-Bildungsverein Wien, der in der Gumpendorfer Bierhalle mit dem Turnen begonnen hatte, wissen wir, dass im ersten Jahr seines Bestehens 52 Turnabende stattfanden, an denen 2273 Personen – im Durchschnitt also 45 Personen pro Abend – teilnahmen.

Überhaupt mag das strenge „deutsche Turnen“ dem einen oder anderen Turner schon bald zu langweilig geworden sein – die Konkurrenz der Spielsportarten, die langsam in Mode kamen, wurde spürbar. Am Verbandstag des Jahres 1914 forderte ein Turnwart, dass der „Spiel- und Sportbewegung“ mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden müsse. Zwischen dem Jahr 1900 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 nahmen Arbeitervereine das Gewichtheben, das Schwimmen, das Ringen und Faustball auf; zum Teil in bereits bestehenden Turnbereinen, zum Teil in neuen Vereinen oder Sektionen. Ab 1905 spielten die Arbeiter auch Fußball.

Eine Pionierrolle nahmen die Arbeiterturnvereine beim Sport für Frauen ein: Mädchen und Frauen wurden in den Arbeitervereinen schon bald zum Turnen zugelassen – wenngleich in eigenen Sektionen, wie im Lerchenfelder Turnverein in Wien, wo schon in den 1890er Jahren eine Frauenriege bestand. In den Bundesländern dauerte es ein wenig länger. Im Jahr 1912 trug man sich auch in Oberösterreich mit dem Gedanken der Gründung einer eigenen Frauengruppe. Die sportliche Betätigung von Frauen wurde vor allem von der katholischen Kirche abgelehnt: Die beim Turnen notwendigerweise freizügigere Kleidung galt der Kirchen als unmoralisch.

Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges blieben Turnsäle für die Arbeitersportvereine Mangelware. Die Gemeindeverwaltungen, die von christlichsozialen und deutschnationalen Politikern geführt wurden, teilten den Arbeitersportvereinen nur widerwillig eigene Hallen zu. Einige wenige Vereine schafften es, sich eigene Turnhallen zu errichten – einige wenige hatten die Möglichkeit, in Arbeiterheimen oder Gewerkschaftshäusern Turnsäle einzurichten. „Freiturnplätze“ waren weit verbreiteter als heute: Die Wiener Arbeiterturner schufen sich bereits um die Jahrhundertwende Freiturnplätze in den Hügeln des Wienerwaldes in Sievering und am Wasserpark im heutigen Wiener Gemeindebezirk Floridsdorf.

Illustration: Artikel aus dem Vorarlberger Tagblatt, 1920.

  1. Schobesberger, 236
  2. 70 Jahre Arbeitersport in Österreich, 21


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